Richtigstellung zum taz-Artikel vom 11.04.2002

Diesen Artikel gibt es hier in der Druckversion, wie er in der taz erschien. Bereits bei oberflaechlichem Lesen werden deutliche Fehler sichtbar. Diese wurden von der Schlussredaktion verursacht. Der Journalist, unter dessen Namen der Artikel erschien, ist dafuer nicht verantwortlich. Er hat hier seine Originalversion zur Verfuegung gestellt. Besonders erwaehnenswert ist:






Wie starb Tron?

Seit vier Jahren bemühen sich die Eltern und Freunde des verstorbenen Hacker-Genies Boris F. um die Aufklärung seines Todes. Ein neuer Fund soll nun zur Wiederaufnahme der Ermittlungen führen.

Anfang März mussten die Eltern die Kleidungsstücke und letzten Habseligkeiten ihres Sohnes aus der Asservatenkammer der Berliner Polizei abholen. Für die Justiz das Ende eines mysteriösen Todesfalls. Am 22. Oktober 1998 war der fünf Tage vermisste Informatiker Boris F. in einem Park in Berlin-Britz erhängt aufgefunden worden. Einen Abschiedsbrief hinterließ er nicht.

Der erst 26-jährige war ein berühmter Hacker, Szenenname "Tron", und galt als Experte für Verschlüsselungssysteme. Die Polizei sah sofort Mordverdacht und nahm die Ermittlungen auf. Die Obduktion brachte keine Hinweise auf eine Fremdeinwirkung. "Trotzdem könnte der Mann umgebracht worden sein", so damals Chefermittler Ruckschnat vom LKA Berlin: "Ein solches Genie hat immer auch Feinde".

Tron hatte aber auch Freunde, und die haben Ende 2001 komplette Briefe aus der Ermittlungsakte auf der Website "Tronland" im Internet veröffentlicht (www.tronland.net). Wie diesen Schreiben zu entnehmen ist, sahen die Anwälte der Eltern in den kriminaltechnischen und gerichtsmedizinischen Untersuchungsergebnissen Hinweise auf einen Mord. Man verlangte daher weitere technische Untersuchungen. Aber in den drei Jahren Ermittlungstätigkeit wurden, so die Betreiber der Website, nicht einmal alle schon 1998 von der Polizei angeordneten kriminaltechnischen Untersuchungen durchgeführt.

Die Staatsanwaltschaft erhielt deshalb insgesamt drei Dienstaufsichtsbeschwerden mit dem Vorwurf der Untätigkeit. Am 11. Mai 2001 schrieb Andy Müller-Maguhn, Sprecher des Chaos Computer Club (CCC) und gewählter Direktor des Internet-Gremiums ICANN, einen weiteren erbosten Brief, in dem er der die nach Ansicht von Trons Freunden und Eltern "wesentlichen Ermittlungsversäumnisse" auflistete. Untersucht werden sollte unter anderem, ob sich an Trons Kleidung, Händen und Schuhen Spuren des Baumes befanden, an dem er hing, und ob der Baum selbst Faserspuren aufwies. Wenn Tron sich umbrachte, wären solche Spuren zu erwarten.

Das zum Aufhängen eingesetzte Werkzeug war ein Gürtel, der mit einem Draht an einem Ast des Baumes befestigt worden war. Der Draht selbst sollte, so Müller-Maguhns Forderungenkatalog weiter, auf DNA-Spuren von Boris F. untersucht werden. Auch das LKA hatte bereits 1998 diese Untersuchung in Auftrag gegeben.

Wurde Tron kalt gestellt?

Ein wesentliches Detail, das mit der von der Staatsanwaltschaft vertretenen Selbstmordtheorie schwer in Einklang zu bringen ist, ist der bei der Obduktion festgestellte Mageninhalt des Hackers. Dabei handelte es sich um nach Art seiner Mutter zubereitete Spaghetti mit einer familieneigenen Basilikum-Gewürzmischung. Die Obduktion ergab weiterhin, dass der Todeszeitpunkt Trons etwa einen Tag vor dem Auffinden seiner Leiche liegen musste, also am 21.10.1998. Dabei bleibt nicht nur unklar, was Tron seit seinem Verschwinden vier Tage zuvor getan hat, sondern auch, wieso die Spaghetti noch nicht verdaut waren -- die hatte er ja noch vor seinem Verschwinden eingenommen. Nur wenn man davon ausgeht, dass Tron vor dem Selbstmord Spaghetti mit exakt derselben Zutatenmischung erneut in einem Restaurant zu sich genommen hat, bleibt die Selbstmordtheorie konsistent.

Die Anwälte der Eltern nehmen deshalb an, dass Tron bereits kurz nach seinem Verschwinden stranguliert und seine Leiche daraufhin für mehrere Tage in einem Kühlhaus gelagert wurde, bevor er in Berlin-Britz aufgehängt wurde. Diese Hypothese hält die Staatsanwaltschaft für "fernliegend" und führte weitere Untersuchungen nicht durch -- obwohl die Gerichtsmediziner bejahten, dass sie sich mit den "Untersuchungsergebnissen in Einklang bringen" ließ.

Müller-Maguhn beendete seinen Brief mit einem Ultimatum und der Frage "ob das hier dokumentierte Vorgehen nicht den Tatbestand der Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB) erfüllt." Darauf antwortete die Staatsanwaltschaft innerhalb von vier Tagen mit der Einstellung des Verfahrens. Dass es eine "rein theoretische" Möglichkeit von Mord gibt, erkennt Staatsanwalt Bauer zwar an. Doch aus den Ermittlungen würden sich keine Hinweise auf einen Täter ergeben.

Kommt die Wahrheit ans Licht?

Um die Untersuchungen auf eigene Kosten durchführen zu lassen, wollten die Eltern und ihr Anwalt nun die Asservate unter notarieller Aufsicht registrieren und versiegeln lassen. Doch wie die auf Tronland veröffentlichten Briefe der Eltern und ihres Anwalts berichten, gab es beim Öffnen des ersten Kartons gleich eine Überraschung. Demnach war der darin enthaltene Gürtel, in dem Tron erhängt aufgefunden wurde, sicher nicht sein eigener. Er war deutlich länger, hatte Gebrauchsspuren bei 96 cm Taillenumfang und ließ sich nur bis zu einem minimalen Umfang von 93 cm schließen. Tron konnte ihn gar nicht getragen haben, so die Eltern, denn er war mit nur 75 cm Taillenumfang zu mager dafür. Tatsächlich grinst einem beim Besuch der Tronland-Website ein Foto des augenscheinlich spindeldürren Hackers entgegen. Die Betreiber der Site gehen in ihrer aktualisierten Verschwörungstheorie nun davon aus, dass der Gürtel nicht dem Täter gehörte, sondern vielmehr eine von diesem bewusst gelegte falsche Spur ist.

Von Trons eigenem Gürtel fehlte jede Spur am Tatort -- obwohl ein in seinen Gürtel eingeschleiftes Werkzeugtäschchen und Handy mit Halterung dort am Boden lagen. Von den Tätern so arrangiert? Der Anwalt der Eltern, Wolfgang Kaleck, fordert nun eine Wiederaufnahme der Ermittlungen und die Untersuchung des Gürtels auf Fingerabdrücke. Wenn der fremde Gürtel von Tron gar nicht berührt wurde, wäre das ein sicherer Hinweis auf Fremdverschulden.

Geheimdienste und Pay-TV

Tron war nicht nur der erste, der es schaffte, Telefonkarten unbegrenzt nutzbar zu machen, er beschäftigte sich auch mit den sogenannten Smartcard-Verfahren, die Bezahl-Fernsehsender einsetzen, um ihre verschlüsselten Programme vor unbefugter Nutzung zu schützen. Anfang März verklagte der Fernsehsender Canal Plus die Firma NDS, die Verschlüsselungs-Verfahren für Rupert Murdochs News-Corp-Imperium entwickelt. NDS habe nicht nur die von Canal Plus verwendeten Codes geknackt, sondern sie auch der internationalen Cracker-Community zur Verfügung gestellt. Streitwert: eine Milliarde Dollar. Dass jedoch die Sender etwas mit Trons Tod zu tun haben, schließen die Tronländer aus. "Wir haben keine Hinweise, dass Tron sich je intensiver mit der Smartcard von Canal Plus beschäftigt hat, und wir schließen aus, dass er sie gehackt hat. Es gibt auch keine Hinweise, wonach er je mit NDS zusammengearbeitet hätte."

Der Anwalt der Eltern verweist dagegen auf den amerikanischen Geheimdienst NSA (National Security Agency), dessen Abkürzung lange Zeit mit "No Such Agency" aufgelöst wurde. Die NSA ist verantwortlich für nationale und internationale Abhörmaßnahmen, unter anderem für das weltgrößte Abhörnetz Echelon (s. z.B. www.echelonwatch.org ), das bereits von der EU untersucht wurde, aber bisher noch sehr stiefmütterlich behandelt wird. Die NSA ist folglich auch "spezialisiert auf das Schwächen und Brechen von Verschlüsselungssystemen", so Kaleck.

Die USA haben sich erwartungsgemäß immer gegen den Export starker Kryptographie-Techniken eingesetzt, die es erlauben würden, bei Kommunikation aller Art die NSA auszuschließen. Diese "Kryptodebatte" erreichte in Trons Todesjahr ihren Höhepunkt. Auf Druck der USA einigten sich Ende 1998 33 westliche Staaten mit dem Abkommen von Wassenaar, starke, also sichere, Verschlüsselungssysteme besonderen Beschränkungen zu unterlegen. Anwalt Kaleck zufolge war diese Diskussion die Motivation für Trons Diplomarbeit.

In seiner Arbeit präsentierte Tron Anfang 1998 ein neues technisches Prinzip für eine sehr starke Verschlüsselung, das, so der Anwalt, gegen bestimmte Methoden der NSA immun war. Das von Tron gleich damit gebaute "Cryptofon" wurde von der Fachwelt als "genial" bewertet. Dieses Gerät war zunächst nur ein extrem abhörsicheres Telefon, das mit ISDN-Anschlüssen relativ einfach hätte verwendet werden können. Trons Freunden zufolge sollte es aber zum "Cryptron" weiterentwickelt werden, ein einfaches Gerät, das nicht nur Internet-Verbindungen verschlüsseln könnte, sondern auch die rechtssichere digitale Unterschrift ermöglicht hätte (s. www.tronland.net/cryptron/cryptron.htm ). Damit hätte Trons Arbeit bereits mittelfristig weltwirtschaftliche Implikationen gehabt -- musste er deshalb sterben?


Erik Möller

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