Haus 42 - Der Technik-Freak


Das Geheimnis eines Genies

Für alle die Boris länger kannten, war er eine durch und durch normale Person. Auffallend war allenfalls, dass er auf viele Menschen etwas sympathischer wirkte und einige technische Kenntnisse hatte. Da er mit letzterem aber nie angab, sondern es eher sogar herunterspielte und viele Erfolge geheim hielt, wussten bis zu seinem Tod nur wenige von seinem genialen technischen Können. Dies alles auf eine genetische Veranlagung zu schieben, erscheint aber zu billig. Denn im Rückblick gibt es in seiner Kindheit kaum etwas, das ein Genie vermuten läßt. Er konnte nicht früher lesen als andere, im Kindergarten kein Klavier spielen und in der Grundschule keine komplexen Gleichungen lösen.

Ohne etwas Rat von Experten wären die entscheidenden Punkte in seiner Entwicklung kaum erkennbar gewesen. Das meiste, so die Hauptaussage, entsteht vor dem 10 Lebensjahr. Im Alter von 9 Jahren hat das Gehirn bereits 95% des Erwachsenenvolumens. Mit der Geburt sind es 25% und mit 3 Jahren schon 60%. Noch interessanter ist die Aktivität des Gehirns. Der Energieumsatz im Gehirn eines Einjährigen ist bereits so hoch wie bei einem Erwachsenen. Die Aktivität steigt dann und erreicht einen flachen Gipfel vom doppelten (200%) Wert des Erwachsenen in der Zeit vom 3. bis zum 9. Lebensjahr. Dann sinkt sie deutlich ab auf 160% bei 12 jährigen, um mit Ende der Jugend in den Bereich der Erwachsenen-Durchschnittswerte zu kommen.

Stoffwechsel im heranwachsenden Gehirn und im Erwachsenen, Daten von Chugani (1996). Zusätzlich einkopiert die Größe des Gehirns (gelb) und ein mehrfarbiges Schemabild. Die ältesten Teile, für Körpersteuerung und Emotionen (und damit den Charakter) zuständig, sind grün markiert. Der frontale Cortex, der jüngste Teil des Gehirns, ist in rot dargestellt. Er ist der Bereich für analytisches Denken und Kreativität.

Nach der Geburt, in den ersten Monaten des Lebens, werden vor allem die primitiveren, evolutionär älteren (und damit wichtigsten) Teile des Gehirns geprägt. Ausser Sehen, Hören, Schmecken und Bewegung sind das noch die für grundlegende Gefühle zuständigen Bereiche. Ob die Person später ängstlich wird oder selbstsicher, depressiv oder eher zu guter Stimmung neigend, all dies prägt die Behandlung in den ersten Monaten. Es sollte möglichst am Körper getragen werden. Bis zu 30 Monate sollte ein Kind gesäugt werden, viel Hautkontakt, Streicheln, Babymassagen mit Öl bekommen. Es sollte alles getan werden, damit sich das Kind immer so wohl und angenehm wie nur möglich fühlt. Nur bei dieser Prägung wird es später im Leben Enttäuschungen und Schicksalsschläge ohne größere Folgen überstehen.

Ehe das Kind sprechen lernt, versucht es erst durch Mimik, dann durch Gestik mit der Mutter zu kommunizieren. Eltern, die was taugen, machen da intuitiv mit. Hier beginnen bereits die höher gelegenen, evolutionär jüngeren Teile des Gehirn, sich zu verschalten. Von nun an gilt, mindestens für die nächsten 10 Jahre, dass das Kind eine möglichst abwechslungsreiche Umgebung haben sollte. Neue Reize, neue Sinneseindrücke sind gefordert. Das allein reicht aber nicht. Kinder, die mit dem TV als Babysitter aufwachsen, sind davon zwar ständig fasziniert, verkümmern aber geistig. Ihr IQ bleibt weit unter Durchschnitt, sie können kaum sprechen und sind selbst mit 8 Jahren kaum schulfähig. Es fehlt den Kindern die Interaktion und die Kommunikation. Es fehlt die Erklärung dessen, was sie gesehen haben. Ihr Gehirn kann daher weder Wissen noch Fähigkeiten aufbauen.

Was ein Kind braucht, sind Ältere, die ihm ständig Fragen beantworten und bei Gelegenheit auch ungefragt wichtige Dinge erklären. Die Lernfähigkeit von Kindern ist weit höher als die von Erwachsenen. Das Wissen muss ihnen aber so präsentiert werden, dass sie es verstehen können. Eine Erklärung muß auf bekanntem Wissen aufbauen und darf nicht zu viele neue Fakten enthalten. Auch sollte jede Erklärung beiläufig eine gefühlsmässige Bewertung beinhalten. Kinder sind sehr gefühlsbetont und dies hilft ihnen beim Sortieren und Einordnen von Wissen.

Spätestens mit 3 Jahren beginnt das Kind selbst auszuwählen, was ihm wichtig ist. Zwar hört es noch lange auf Empfehlungen, aber Erfolgserlebnisse in Form von Lob oder noch besser in Form von erfolgreicher Anwendung des Gelernten werden von nun an wichtig. Hierbei unterscheidet sich das Kind nicht mehr von den meisten Erwachsenen. Boris empfand es auch mit 26 noch angenehm, von Fachleuten anerkennende Worte zu hören - das ist normal. Aber bereits zu Schulbeginn war die Erwartung von Lob nicht mehr die treibende Motivation. Vielmehr war es die Einsicht in das Sinnvolle des eigenen Tuns.

Dies setzt jedoch Bewertungsmaßstäbe voraus. Nicht nur dafür, was gut oder schlecht ist, sondern auch, was erstrebenswert ist und was nicht. Bereits im Kindergarten können Kinder grundlegende Ideen für ihr Leben verinnerlichen. Etwa, dass es wichtig sei, "Geld zu machen" oder andere mit Gewalt zu beherrschen, um selbst nicht unten in der Hackordnung zu landen, oder immer zu tun, was Mächtigere anordnen. Oder wie bei Boris, anderen zu helfen in der Einsicht, dass diese einem dann auch helfen. Seine Sicht war, jeder tut, was er am besten kann, dann geht es der Gemeinschaft am besten. So hatte er es als Kind in Pula gelernt. In Berlin lernte er, dass nicht jeder so denkt. Wer ihn ausnutzte, gehörte dann aber nicht mehr dazu, da lief dann höchstens noch eine Geschäftsbeziehung.

Menschenkenntnis ist ein Teil der sozialen Fähigkeiten, die schon Kinder beginnen, zu lernen. Den Umgang mit anderen Menschen lernen Kinder am besten mit Kindern. Eine Gruppe Kinder, die in etwa normal erzogen wurden, kann auch mal sich selbst überlassen werden. Eltern sollten ihre Kinder gut informieren, aber auch genügend Vertrauen haben, ihnen eine Privatsphäre zu belassen. Vor der Pubertät ist das gefahrlos. Und hat man den Rat befolgt, so bleibt es während der Pubertät ebenso. Allgemein ist die Erfahrung im verantwortlichen Umgang mit anderen eine sehr wichtige Lerneinheit. Vor allem die intelligenteren und aktiveren lernen dabei, direkt Verantwortung für Schwächere zu übernehmen.

Kindern eine gute Umgebung zum Aufwachsen zu geben ist keine einfache Sache. Ihnen besondere Erlebnisse zu bieten, Reisen, Events, das ist nicht billig und kostet Zeit. Sinnvolles Spielzeug ist häufig auch teuer und nicht leicht zu finden. Ist Geld im Haus, haben die Eltern wegen des Berufs meist wenig Zeit. Umgekehrt können arbeitslose Eltern ihren Kindern meist nicht das nötigste bieten und sich selbst auch nicht. In Deutschland sind Kinder für viele leider wirklich ein Schritt in die Armut. 15% der Kinder in Großstädten leben von Sozialhilfe. Schaffen es die Eltern trotz allem, den Kindern eine gute Kindheit und Jugend zu ermöglichen, so garantiert dies zwar nicht, dass dabei ein weltbewegendes Genie herauskommt. Aber sie haben das optimale aus ihrem eigenen Leben gemacht und können sicher sein, dass im Alter jemand für sie da ist und die weiteren Generationen die Chance für eine noch bessere Entwicklung haben.

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