Protokoll 14/36 und 14/23 der 36. Sitzung des Rechtsausschusses und der 23. Sitzung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 1. Dezember 1999, 14.00 bis 18.00 Uhr im Plenarbereich Reichstagsgebäude, Saal 3 N 001
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Wir haben auch elterliche emotionale Beziehungen zu den Kindern erfasst. Wir wollten wissen, ob die elterliche Zuwendung eine Rolle spielt. Natürlich spielt sie eine Rolle. Aber bei wem ist sie wichtig? Gemessen haben wir das mit der Frage: Haben deine Eltern dich in deiner Kindheit regelmäßig, häufig, selten oder nie in den Arm genommen? Regelmäßig, häufig, selten oder nie mit dir geschmust? Dich gelobt oder dich getröstet, wenn du geweint hast? Etwa 15 % erzählen, dass ihre Mutter sie selten oder nie in den Arm genommen oder andere erfreuliche Dinge mit ihnen getan hat. 20 % berichten dies von ihrem Vater. Also kommen 15 - 20 % der Jugendlichen emotional zu kurz in den Familien. Das wurde dann ergänzend zu dem Schlagen gemessen.
Bei nichtschlagenden Eltern variiert die Zuwendungsintensität von sehr hoher Zuwendung bis schlechter Zuwendung. Und Sie sehen: Die Gewaltrate steigt drastisch an. Bei den Ohrfeigenkindern steigt die Kurve ganz extrem an. Für die, die sowohl Ohrfeigen abbekommen haben als auch ganz wenig Zuwendung, wird es immer schlimmer. Und am Ende sehen Sie, dass die Zuwendung keine Rolle mehr spielt. Egal, wie liebevoll die Eltern sein mögen: Wenn sie häufig misshandelt werden, kann das durch nichts mehr ausgleichen werden. Wenn wir dann fragen: Wie viel Taten hast du denn begangen und setzen den Wert der glücklichen Kinder, die nie geschlagen und liebevoll erzogen wurden, mit 1, dann haben wir 5,1mal so viel Delikte, die im letzten Jahr begangen wurden durch die massiv geschlagenen, wenig geliebten Kinder.
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Mein letzter Punkt zu den Auswirkungen ist in meinen Augen fast der spannendste und niemand hat ihn bisher erwähnt. Jüdische Organisationen in Amerika haben 1980 wissen wollen, was die Menschen auszeichnet, die im Dritten Reich Juden versteckt haben: 400 lebten noch, die man in Deutschland, Holland, Frankreich, Norwegen und sonst wo gefunden hat, wo immer Juden versteckt wurden vor dem Zugriff der Deutschen. Sie haben ihr Leben riskiert, sie haben extrem Zivilcourage bewiesen. Was also zeichnet die 400 Menschen aus, mit denen man Interviews geführt hat?
Es waren Atheisten darunter und Katholiken und Evangelisten, sodass sich bei der Religion keine Unterschiede ergaben. Große Unterschiede bestanden aber beim sozialen Status, bei Intelligenz und Herkunft. Jedoch gab es eine Gemeinsamkeit über alle Nationen: Gewaltlose Erziehung zeichnete die Menschen aus, die sich so couragiert verhalten haben. Das Buch, in dem das dargestellt ist, hat einen Kernsatz. Der heißt: "Gewaltlose Erziehung fördert den aufrechten Gang". Wenn es also noch eines Grundes bedurft hat, warum dieses Gesetz, das jetzt beschlossen werden soll, richtig ist, dann ist es - neben der Gewaltprophylaxe - dieser.
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Wir haben eine Forschung gemacht über Gewalt im Alter, gefördert von der früheren Bundesregierung, das war eine ganz tolle Forschung 1992. Da haben wir 7.500 alte Menschen gefragt, wie es denn so zu Hause ist, mit den Kindern? Wenn sie nicht im Altenheim leben, sondern zu Hause, und dann kommt heraus - jetzt sage ich etwas ganz böses: Jeder kriegt im Alter, was er verdient. Die Menschen, die liebevoll mit ihren Kindern umgegangen sind, das haben wir ja vorher gefragt, da wussten sie noch gar nicht, dass am Ende die Frage kommt: Ob die Kinder sie prügeln, ob die Kinder sie misshandeln, sie beklauen, sie beschimpfen, verbal aggressiv sind. Die Eltern, die einen liebevollen Umgang mit ihren Kindern hatten, hatten ein schönes Alter. Und die Eltern, die ihre Kinder selber nach eigenen Angaben vorher geprügelt hatten, die kriegten im Alter etwas zurück. Und daher ist das noch ein anderes Argument, das den Leuten deutlich macht, sie gestalten ihr eigenes Alter, liebevoll und positiv, wenn sie liebevoll und positiv mit ihren Kindern umgehen.
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Die gesamte Anhörung mit allen Expertenaussagen gibt es im Netz unter:
http://www.bundestag.de/gremien/a13/a13_anh/a13_anh23.html
Die obige Aussage von Prof. Pfeiffer ist etwa im oberen Drittel des Transkripts. Impressum